Was Heu mit Milch zu tun hat, ob Milch in Tetrapacks oder Glasflaschen verpackt werden sollte und warum Kühe Hörner brauchen, hat Gudrun Glock auf dem Hofgut Voggenreute recherchiert. Ihr Gesprächspartner war Landwirt Rolf Holzapfel, Mitglied und Vorstand der Demeter HeuMilch Bauern.

Dass Kühe Hörner tragen sollten, das habe ich schon einmal gehört. Aber welche Bedeutung dem beigemessen wird und was sonst alles so damit einhergeht, das versuche ich heute zu erfahren. Inmitten von Feldern, Wiesen und Wäldern empfängt mich Rolf Holzapfel auf seinem Einödhof nahe Ingoldingen im Landkreis Biberach.
»Am besten führe ich Sie erst mal über den Hof«, sagt er und spaziert sogleich mit mir am Außenbereich der Ställe vorbei, die gerade gemistet werden.
Die Demeter HeuMilch Bauern
Einige mutige Landwirtinnen und -wirte in Süddeutschland haben sich vor sechs Jahren unabhängig gemacht und ihren eigenen Wirtschaftsverein – den Demeter MilchBauern Süd w.V. – gegründet. Sie erfassen und vermarkten darüber ihre Demeter-Heumilch unter der Marke »Demeter HeuMilch Bauern«. Seit Mai dieses Jahres haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Kälber wieder mit Mutterkühen und Ammen, wie die »Tanten« der Kälber genannt werden, großzuziehen. »Das Verhalten der Herde verändert sich total, wenn Kälber da sind«, erklärt Holzapfel, »und die weiblichen Neulinge integrieren sich später stressfreier in die Herde.« Dazu muss man wissen, dass die konventionelle und zumeist auch die ökologische Milchviehhaltung die Kälber nach der Geburt isoliert. Aus ökonomischen Gesichtspunkten dürfen sie nicht bei den Mutterkühen bleiben. Zur Aufzucht bekommen sie dann die schon gemolkene Milch aus dem Eimer oder Milchaustauschprodukte, die immerhin im Verdacht stehen, BSE zu begünstigen. »Zu einer stabilen Gesundheit, zum optimalen Wachstum und zu einem gesunden Sozialverhalten gehört allerdings viel mehr als das«, sagt der Landwirt. Und während er beschreibt, wie die Kälber im Herdenverband heranwachsen, gesäugt und beleckt werden, steigt mir der Duft von getrockneten Gräsern und Kräutern in die Nase – herrlich! Gekalbt wird im Stall, aus dem die Kühe jederzeit ins Freie können, oder auf der Weide. Dort muss man sich allerdings darum kümmern, dass sie nicht verwildern.
Die mutter- bzw. ammengebundene Aufzucht eines Kalbs dauert circa vier bis fünf Monate. Langsam und sukzessive werden die Kälber dabei »abgesetzt«. Danach leben die »pubertierenden« Kälber unter sich. »Sie brauchen dann keine Milch mehr«, erklärt der Heumilchbauer. Ähnlich wie beim Menschen, denke ich mir, da legen die Jugendlichen auch nicht mehr so viel Wert auf ständige Betreuung. »Für viele unserer Höfe ist diese Art der Kälberaufzucht eine große Herausforderung im Stallbau und Herdenmanagement, die wir aber aus tiefster Überzeugung gerne annehmen«, so der Vorstand der Demeter HeuMilch Bauern.
Während ich die friedliche Atmosphäre tief einatme und genieße, erwähnt Holzapfel noch weitere Aspekte der Kälberaufzucht. »Ungefähr 50 Prozent sind Bullenkälber, also männliche Kälber, die viel mehr trinken als ihre weiblichen Geschwister. Wenn man diese in der Herde belässt, sind in drei Monaten schon mal 1.500 Liter pro Kalb weg. Das ist kein unerheblicher Verlust an qualitativ hochwertiger Heumilch«, meint er. Aber auch hier steht ganz klar das Tierwohl an erster Stelle, weshalb die Tiere bleiben dürfen.
Die Bullenkälber werden entweder für die Zucht weiterverkauft oder trotz der liebevollen Bioaufzucht, genau wie andere konventionell aufgezogene Kälber, vermarktet. Was den Heumilchbauern dabei zunehmend missfiel, war, dass sie bisher die Käufer, deren Kanäle und Vertriebswege nicht kannten. Das sollte sich ändern. Denn auch wenn letztendlich das Fleisch der Tiere vermarktet werden sollte – oder gerade deshalb –, war es jedem einzelnen Mitglied wichtig, bis zu diesem letzten Schritt die Tiere nach den Demeter-Vorstellungen respektvoll zu behandeln. Nach etlichen gemeinsamen Überlegungen haben sie sich schließlich für die Zusammenarbeit mit ProVieh e.V., einer Tierschutzorganisation aus Kiel, entschieden. Diese organisiert Kampagnen in Politik und Handel für bessere Lebensbedingungen der Nutztiere, um sie vor unnötigem Leid zu schützen. Das garantiert neben besserer Qualität und besserem Geschmack auch die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Erzeugnisse. Seit 1. Mai 2019 wirtschaften die Mitglieder der Heumilchbauern nach diesen Standards und unterziehen sich freiwillig den entsprechenden Kontrollen. Edeka Südwest ist dabei ein wichtiger Handelspartner des Erzeugerverbands.
Am ursprünglichsten ist die Heufütterung
Wir schlendern weiter an riesigen Heubergen vorbei. Ordentlich nach unterschiedlichen Mischungen gestapelt, verströmen sie ein umwerfendes Aroma. Rolf Holzapfel spricht über die Zusammensetzung der unterschiedlichen Heusorten, während er aus einem großen Gras- und Kräuterberg, der von außen eher farblos aussieht, eine Handvoll Heu zupft. »Die Kunst ist, dass das Heu im Ballen zwar trocken sein soll, aber grün bleibt«, sagt er. »Warum füttern eigentlich nicht alle Bauern Heu, sondern die meisten von ihnen Silage?«, frage ich. »Die Heumilchproduktion ist die ursprünglichste Form der Milchgewinnung. Sie wirkt sich nicht nur positiv auf die Milchqualität, sondern auch auf den Boden und die Artenvielfalt aus. Silage ist kein schlechtes Futtermittel. Biobauern verwenden es durchaus auch mal«, erwidert Holzapfel und fügt an: »Sie besteht aus vergorenen Futterpflanzen, ist haltbar und daher immer verfügbar. So ist der Bauer wetterunabhängig, was die Fütterung vereinfacht. Aber aus dieser Milch lassen sich keine Rohmilchkäsesorten herstellen.« Silage sei ein besonders energie- und proteinhaltiges Futtermittel, weshalb sie eben gerne für die Hochleistungskühe unter den Milchkühen verwendet werde. »Und was ist der Unterschied zwischen Heu und Stroh?«, frage ich noch einmal neugierig nach. »Das ist ganz einfach«, sagt Holzapfel, »das Stroh besteht aus den Halmen des gedroschenen Getreides und Heu besteht aus den Gräsern und Kräutern der Wiesen.«
Das Horn lebt
Angekommen bei einer Gruppe Kühe fordert er mich auf: »Fassen Sie mal an«, und bedeutet mir, das Horn einer Kuh zu ergreifen. »Ist ganz warm, nicht?« »Ja«, stelle ich erstaunt fest, »das stimmt!« Woraufhin Holzapfel erklärt, dass das Horn ein lebendiger Körperteil der Kuh sei und keineswegs zu vergleichen mit Fingernägeln, die man eben mal abschneiden könne. Er erklärt, dass das Horn der Kuh eng verwoben ist mit ihrer Verdauung. Es gebe zwar wenige Studien, die einen Zusammenhang mit der Verdauung belegen, aber Gase, die beim Wiederkäuen entstehen, seien bis fast in die Spitze des Horns messbar. »Deshalb tragen die Kühe der Demeter HeuMilch Bauern Hörner. Die Milch der horntragenden Kühe unterscheidet sich erheblich von der Milch der Kühe, die keine Hörner tragen. Das ist durch Laboruntersuchungen belegt und wird mir immer wieder von Kunden bestätigt, die normalerweise Probleme mit Milch haben«, fügt er noch an.
Was die Weinflasche mit Milch zu tun hat
Alle Kühe werden in den Melkstand geführt. Um sie daran zu gewöhnen, werden auch die Kühe durchgeführt, die noch keine Milch geben, weil sie zum ersten Mal kalben. Alle zwei Tage holt eine Spedition die Milch der HeuMilch Bauern und bringt sie zu den Partnerbetrieben. Ungefähr ein Fünftel davon wird in gut recycelbare Tetrapacks und vier Fünftel in Glas abgefüllt. »Der Verkauf in Glas findet im Biosektor zwar viel mehr Zuspruch«, erklärt Rolf Holzapfel, »gestaltet sich aus den unterschiedlichsten Gesichtspunkten aber sehr viel schwieriger.« Es bestehe immer die Gefahr von Bruch, Glas müsse gelagert, wieder eingesammelt und gereinigt werden. Auch die Ökobilanz gegenüber Tetrapacks fiele nicht unbedingt besser aus. »Aber hochwertige Milch gehört auf jeden Fall ins Glas und ich schiele neidisch auf die Weinflaschen«, sagt Holzapfel. »Wer würde schon auf die Idee kommen, Wein in Pfandflaschen abzufüllen.«
Der Hof wird als ganzer Organismus gesehen
»Ist die Geschichte des Hofgut Voggenreute auch die Geschichte Ihrer Vorfahren?«, möchte ich wissen. »Nein, ich habe dieses Hofgut seit 1996 gepachtet. Als ich aufwuchs, wurden die Höfe auf sehr selbstverständliche Weise biologisch bewirtschaftet. Ich bin Landwirtschaftsmeister und habe während meiner Ausbildung je ein Jahr auf einem Biohof und einem konventionellen Betrieb gelernt.« Und so entstand der Wunsch, selbst Landwirtschaft zu betreiben, die entsprechend Demeter nach dynamisch-biologischen Kriterien arbeitet. Demeter-Bauern gehen sehr sorgsam mit den natürlichen Ressourcen um und gestalten mit ihrer Arbeit die Landschaften bewusst und nachhaltig. »Ich finde, das ist eine tolle Branche!«, fügt der Landwirt leidenschaftlich hinzu. Holzapfel besitzt 60 Kühe und zwei Bullen. Im Biobereich kann man den Hof als mittelgroßen Betrieb im oberen Level einordnen. Mit einem festangestellten Mitarbeiter, einer Auszubildenden und mehreren Aushilfen kommt er zurecht. »Wir besitzen keine eigenen Maschinen. Für die Arbeit mit großen landwirtschaftlichen Geräten beauftragen wir externe Firmen, denn diese Investition würde sich nicht lohnen«.
Demeter steht für eine biodynamische Wirtschaftsweise. Das heißt, die Kühe erhalten im Sommer auf der Weide frisches Gras und im Winter duftendes Heu. Der Hof wird als ganzer Organismus gesehen und der Landwirt hält nur so viele Tiere, für wie viel er auf seinen Flächen Futter erzeugen kann. Die Tiere wiederum liefern die entsprechende Menge hochwertigen Mist, der als wertvoller Dünger auf die Felder und Wiesen aufgebracht wird. Wenn aber das Größenverhältnis zwischen Herde und Feldern nicht mehr stimmt, gelangen zu viele Nährstoffe auf den Böden. Sie können nicht aufgenommen werden und landen in den Gewässern oder im Grundwasser, wo sie großen Schaden anrichten.
Alle Mitglieder bringen sich gleichermaßen ein
Ich finde das alles hochinteressant und bin begeistert, merke aber auch, dass ich über viele Aspekte der Milchwirtschaft noch nie nachgedacht habe. »Und wie kommt Ihre Milch zum Verbraucher?« »Wir vermarkten unsere Milch selbst in Zusammenarbeit mit verantwortungsbewusst arbeitenden Betrieben und führen eine sehr schlanke Organisation. Einmal im Monat treffen wir uns und sprechen uns ab. Das macht es für alle überschaubar.« Jedes Mitglied arbeitet gleichwertig mit und rechnet mit allen anderen ab, am Ende des Monats zahlen sich die Bauern die Erträge direkt aus. »Wie wichtig ist den Demeter HeuMilch Bauern die Regionalität?«, frage ich nach. »Jeder Händler denkt, er wäre besonders wettbewerbsfähig, wenn er nur genügend Milchmarken bereithält«, beklagt Holzapfel die Situation. Dadurch werden aber nur sehr kleine Mengen pro Marke verkauft. »Das ist bei unserer Größenordnung allein logistisch ein Riesenproblem, weshalb Regionalität zwar unserem Wunsch entspricht, sich aber nicht auf allen Ebenen umsetzen lässt.«
Natürlich habe ich mir Heumilch mit nach Hause genommen. Beim Abkochen hat die ganze Küche nach duftig-frischem Heu gerochen – und die Milch schmeckt fabelhaft! (Gudrun Glock)
Mehr über Kühe mit Hörnern und mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht gibt es unter:
www.hornkuh.de
www.heumilchbauern.de
www.kuhpluskalb.de
Foto: flo-job Büro