Über den Tellerrand: Zwischen Isère und Rhône

Ein Reisebericht von Björn Kühnel

Zugegeben, was wir vorhaben, ist nicht gerade ein Wochenendausflug, aber es lohnt sich allemal. Denken wir an Frankreich, kommen natürlich Paris, die Normandie oder ganz im Süden die Provence an erster Stelle. Wer kennt schon das wunderschöne Gebiet, das sich südwestlich der Schweiz an den Ausläufern der beeindruckendsten Berge der Alpen zwischen Grenoble und Lyon ausbreitet. Dabei spielt sich gerade kulinarisch hier einiges ab.

Wir beginnen unsere Reise mit einer Fahrt quer durch die Schweiz, um bei Genf die Grenze nach Frankreich zu überqueren. Erstes Ziel ist Grenoble, eine Universitätsstadt mit gut 160.000 Einwohnern und ein bedeutender Standort als europäisches Zentrum der Neutronenforschung. Dass hier 1968 die X. Olympischen Winterspiele stattfanden, ist kaum noch zu spüren. Dass hier die  gesündeste Nuss der Welt eine bedeutende Rolle spielt, umso mehr. Es gibt fast nichts, das nicht irgendwie aus den aromatischen Walnüssen seinen Ursprung zieht – über Öle, Seifen, Wein und Liköre.  

Zentrum des Walnussanbaus ist der kleine Weiler Rovon. Hier fahren wir durch schier unendliche Walnussbaum-Felder. Da durch die aufgestauten warmen Südwinde im Grenobler Kessel die Region Jahr für Jahr eine der heißesten Frankreichs ist, genießen wir die schattige Abkühlung unter den Bäumen. Hier besuchen wir auch die Ölmühle Domaine du pressoir von Michel Ageron. Der ehemalige Mitarbeiter von Hewlett-Packard in Grenoble entschloss sich 2007 seinen Job zu kündigen, sich einen Lebenstraum zu erfüllen und die alte Mühle von Rovon zu neuem Leben zu erwecken. Er zeigt uns den Prozess vom Entfernen der Schale, dem schonenden Rösten der Nüsse bis zum Pressen des hochwertigen Öls. Es bleiben keine Abfälle. Die Schalen werden Brennmaterial, die ausgepressten Nüsse Müslizutat oder Dämmstoff. Der Nachmittag endet mit einem herzlichen Abschied und einem Gläschen Nusswein.

Am nächsten Tag geht es in die Berge oberhalb Rovons, eine bisweilen spektakuläre Gebirgswelt voller üppiger Vegetation. Pause machen wir in Pont-en-Royans, wo wir oberhalb an einem idyllischen Gebirgsweiher unsere eigenen Forellen fischen und sie uns vor Ort bei einem schönen Glas Wein braten lassen, zum Dessert gibt es einen sensationellen Schokoladenkuchen mit reichlich Crème double und karamellisiertem Apfel, Frankreich pur!

Tags darauf fahren wir eine halsbrecherisch abenteuerliche Straße von dem kleinen Ort Saint-Gervais Richtung Berge. Unser Ziel ist die nachhaltig bewirtschaftete Schweinefarm von Monique und Dominique Faure. Wir haben gehört, hier soll es die besten Schinken und Würste der Gegend geben – und wir werden nicht enttäuscht. Monique, die gleichzeitig auch die Bürgermeisterin von Saint-Gervais ist, empfängt uns mit einem herzerwärmenden Lachen und den üblichen »bisous«. Sie ist etwas im Stress, da am nächsten Tag eine Hochzeit ansteht und sie einige Spanferkel in ihrem alten Ofen braten muss.

Die Öfen werden heute schon mit Nussbaumholz angeschürt und die Ferkel dann über Stunden darin zart und knusprig gegart. Im Hof stehen zahlreiche riesige Töpfe, in denen Schweineschenkel stecken, die hier auf Gasflammen zu Kochschinken verarbeitet werden. Trotzdem nimmt sie sich viel Zeit für uns, erst einmal wird eine Flasche Rosé entkorkt und bei einigen Scheiben der unglaublich leckeren Wurst kommt man ins Gespräch. Durch den immensen Erfolg der Grenobler Nüsse verfällt das Tal immer mehr der Monokultur. Wo früher abwechselnd Schafweiden, Äcker und Pappelwälder vorherrschten, gibt es heute fast flächendeckend Walnusshaine. Da die Walnuss sehr feuchtigkeitsanfällig ist, muss in nassen Jahren oft massiv gegen Fäulnis und Schimmelpilz gespritzt werden. Die rapide steigende Zahl der Biobauern ist die erfreuliche Gegenbewegung dazu. Bei Sonnenuntergang verlassen wir glücklich und mit mehreren luftgetrockneten Würsten, die saisonal natürlich auch mit Walnüssen angereichert werden, den Berghof von Monique.

Am nächsten Tag brechen wir auf, dem Isère-Lauf folgend, Richtung Valence. Dabei kommen wir durch das Städtchen Saint-Marcellin, einen Ort, der nicht weiter erwähnenswert wäre, käme von hier nicht einer der besten Käse der Region. Der Legende nach soll Dauphin Louis, der spätere Ludwig XI., bei einem Jagdausflug plötzlich einem Bären gegenübergestanden haben. Seine Hilferufe hörten zwei Bauern, die das Ungetüm verscheuchten und den zitternden Thronfolger mit Brot und dem Käse aus ihrem Heimatdorf Saint-Marcellin wieder aufbauten, worauf es den Käse bis hin an den königlichen Hof nach Paris verschlug. Leider wird der meiste Saint-Marcellin mittlerweile aus Kuhmilch hergestellt. Allerdings gibt es noch einige kleinere Käsereien, die traditionell Ziegenmilch verarbeiten, was einen intensiveren und etwas säuerlicheren Geschmack verspricht.

Weiter geht es Richtung Rhône, kurz vor Valence biegen wir ab, überqueren die Isère bei Romans-sur-Isère und fahren durch liebliche Hügel und Sonnenblumenfelder den Wegweisern nach Tain-l’Hermitage folgend. Vereinzelt, dann immer mehr säumen Rebzeilen unseren Weg, wir kommen in eine der interessantesten Weinbauregionen Frankreichs. Doch zunächst haben wir ein anderes Ziel.

Der Ort Tain-l’Hermitage schmiegt sich malerisch östlich an eine sanfte Biegung der Rhône. Die Altstadt an der berühmten Brücke nach Tournon-sur-Rhône am Westufer, das unbedingt den kurzen Marsch über die alte holzbeplankte Überführung schon allein wegen des Anblickes lohnt, ist bevölkert mit Touristen jeglicher Couleur, von Wanderern auf dem Weg der Erlösung nach Santiago de Compostela bis hin zu amerikanischen Flaneuren in Shorts und Polohemden. An einer unauffälligen Ausfallstraße Richtung Süden allerdings befindet sich das Mekka der schokoladigen Sinnesgelüste, der Hauptsitz der weltberühmten Schokoladenmanufaktur Valrhona. Hier kann man das Museum besuchen oder einfach den angeschlossenen Verkaufsraum, in dem es alle Köstlichkeiten aus den verschiedensten Kakaosorten der Welt kostenlos zu verkos-
ten gibt. Und natürlich die ein oder andere Köstlichkeit für zu Hause zu erstehen.

Auf dem Rückweg in die Stadt fällt es schwer, an den üppigen Auslagen der Konditoreien uneingeschränkt Gefallen zu finden, zu sehr sind unsere Mägen mit Schokolade gefüllt. Jetzt ist die Sehnsucht nach Herzhaftem zu groß.

Und wir finden Erlösung am Hauptplatz von Tain-l’Hermitage, hier befindet sich die wunderschöne Weinbar eines der besten Weingüter der Region, Jaboulet. Hier gibt es alle köstlichen flüssigen Erzeugnisse, die aus den berühmten Weinbergen der Region kommen. Bei einem Glas Hermitage Blanc, etwas Käse und luftgetrocknetem Schinken verdauen wir den Kakaoflash. Für die Weiterreise erstehen wir vorsichtshalber ein paar Flaschen Côte Rôtie, Hermitage und Co.

Entlang der Rhône fahren wir Richtung Norden und kommen in das nicht nur kulinarische Zentrum der Region, nach Lyon. Die drittgrößte Stadt Frankreichs ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Hier trifft das traditionelle, ländliche Nordfrankreich auf die mediterranen Einflüsse des Mittelmeeres. Die konservativen Rechten Mittelfrankreichs auf die afrikanischen Einflüsse aus Marseille. Die kräftig-würzig-sahnige Küche eines Paul Bocuse auf Couscous und Tagine. Das Schlendern durch die Altstadt Lyons, gelegen zwischen Rhône und Saône ist ein opulenter Sinnesschmaus, die kulturellen Highlights wie die Notre-Dame de Fourvière sind weltberühmt.

Es lohnt sich allerdings immer auch, die Variante B zu besuchen. So gibt es dort zum Beispiel eine »Kirche unter der Kirche«, die unbedingt einen Besuch wert ist, oder das Musée Miniature et Cinéma – eine charmante Ausstellung cineastischer Schauplätze im Kleinstformat.