Eine Kolumne von Björn Kühnel

Haben Sie schon jemals darüber nachgedacht, was Wein für Sie bedeutet? Nein? Klar, wozu auch. Dennoch gibt es Unmengen Zeitschriften, Bücher, Blogs, die sich ausschließlich mit dem Thema Wein beschäftigen. Ich behaupte mal, dass es kaum einen Bereich in der Kulinarik gibt, über den so viel geschrieben und diskutiert wird. Kaum ein Thema, das so hinterfragt und gleichzeitig so überhöht wird. Dabei geht es am Ende doch immer nur um ein Stück Lebensfreude. Um den Genuss und den Spaß, um etwas Leichtigkeit im Alltag.
Und schon höre ich die Traditionalisten, für die Wein immer noch ein elitäres Produkt ist, das nur in besonderen Momenten und unter der unbedingten Hingabe und Würdigung des Besonderen zugänglich sein kann.
Neulich war ich auf einer sehr schönen Feier, mit gutem Essen, bereichernden Unterhaltungen und vielen gut gelaunten Menschen. Mit einem von ihnen kam ich näher ins Gespräch, unter anderem auch über Wein. Es stellte sich heraus, dass mein Gegenüber nach eigener Aussage ein totaler »Weinfreak« war. Allerdings weigerte er sich, bei dieser Veranstaltung auch nur ein Glas des wirklich exquisiten Rieslings zu sich zu nehmen, da das Ganze im Stehen stattfand. Er könne Wein nur in Ruhe, im Sitzen und in entsprechender Atmosphäre würdigen, daher trinke er lieber Bier – das er nicht möge –, als den Wein zu »vergeuden«.
Seine Entscheidung ist natürlich völlig in Ordnung, aber was heißt »vergeuden«? Alle Winzer, die ich kenne, machen ihre Weine in allererster Linie zum Trinken, nicht zum ehrfürchtig Bestauntwerden! Muss das Schöne immer einen besonderen Anlass haben? Sind meine handgefertigten Schuhe zu schade, um sie beim
Elternabend in der Schule zu tragen? Ist das letztendlich nicht meine Entscheidung, womit es mir gut geht? Warum werde ich den Eindruck nicht los, dass für manche Genussmenschen nur die Darstellung nach außen zählt?
In der wunderbaren Serie »Kir Royal« von Helmut Dietl gibt es eine Szene, in der ein mittelloser Feinschmecker am Hinterfenster der Küche eines Sternelokals sitzt und der Koch ihm heimlich die halbe Flasche 1er Cru Bordeaux auf die Straße hinausreicht, die der Möchtegern im Lokal nicht ausgetrunken hat. Und der Genießer sitzt im Licht der Straßenlaterne auf dem Gehsteig und ist der glücklichste Mensch des Abends. The cook made his day.
Auf was ich hinauswill: Natürlich steckt hinter jedem guten Wein eine Menge Arbeit, Wissen, Tradition, Liebe, Energie, Wagemut. Und jeder Winzer ist stolz auf gute Bewertungen in einschlägigen Magazinen, gute Verkostungsnotizen, lobende Erwähnungen in Kritikerforen. Aber am Ende des Tages freut er sich mehr über ein strahlendes Lächeln auf den Gesichtern derer, die seinen Wein trinken. Wann auch immer. Zu welchem Anlass auch immer.
Wein ist im wahrsten Sinne ein Lebensmittel. Und guter Wein befruchtet unseren banalen Alltag ebenso, wie er es in den besonderen Momenten schafft, uns in seinen Bann zu ziehen. Es ist immer derjenige, der die Flasche öffnet, der über das wann, wo, wie und mit wem entscheidet.
Von daher: Leben Sie, freuen Sie sich überall, auch wenn so mancher um Sie herum nicht versteht, was genau dieses Lächeln auf Ihr Gesicht zaubert. Trinken Sie guten Wein, auch gerade in Situationen, in denen es vielleicht nicht passt … Über Wein nachzudenken und darüber, was er für Sie bedeutet, ist dafür nicht zwingend notwendig!